Vesna Vojnov











Frau Vojnov, wie sind Sie zum Nähen gekommen und seit wann nähen Sie?
Die Vorliebe zum Nähen habe ich von meinem Vater geerbt. Mein Vater war Schneider in Pančevo. Ich bin also an der Seite eines Ästheten aufgewachsen. Mein Vater hatte das nötige Fingerspitzengefühl zum Ankleiden, die Farbzusammenstellung und die Auswahl der Modelle. Von ihm habe ich diese Gabe geerbt. Seit meinem vierten Lebensjahr, so wie ich eine Nadel in den Händen halten konnte, nähte ich Kleider für meine Puppen.

Nähen Sie aus Leidenschaft?
Das Nähen war mir ein Vergnügen, denn es ist ein Teil von mir. Ich mochte es schon immer, schön auszusehen und mich nach meinen eigenen Vorstellungen zu kleiden. Dann habe ich das Schöne mit dem Nützlichen verbunden.

Nähen Sie nach Schnittmustern oder eigenen Entwürfen?
Ich kann mich noch an das erste Schnittmuster von Burda erinnern, das muss so in den 80ern rausgekommen sein. Nachdem ich mir das erste Mal etwas danach genäht habe, waren wir unzertrennlich. Burda war am Anfang nur auf Deutsch erhältlich. Sie müssen ganz einfach ein Gefühl für den Stoff haben. Wie ein Geograf, der eine Karte liest, oder ein Kapitän, wenn er den Ozean überquert und dann diese Karte mit den Koordinaten aufschlägt. Genauso kann auch ein Schneider seine Schnittmuster lesen. Und das ist alles. Nichts ist einfacher als die Schnittmuster von Burda. Ich habe ausschließlich und mein ganzes Leben danach gearbeitet und mich so gekleidet. Es gibt immer noch Frauen und junge Mädchen, die sich gerne exklusiv kleiden und keine chinesische Ware kaufen wollen. Am Ende jeden Monats finden sie kein einziges Burdaheft mehr an den Kiosken.

Suchen Sie sich die Stoffe, Materialien und Farben gezielt aus?
Hauptsächlich orientiere ich mich an dem Repertoire von Burda. Danach wähle ich das Material und Muster aus. Das, was Burda mir eben für diesen Schnitt vorschlägt. Ich kann ja nicht irgendein Material nehmen, das muss adäquat sein. Ansonsten bin ich verrückt nach Viskose – dieses Gefühl von natürlichem Material, das den Organismus kühlt und einem das Gefühl von Bequemlichkeit und Jugend verleiht.

Nähen Sie für sich oder für andere?
Seit meinem 20. Lebensjahr bis heute ist alles, was sie an mir sehen von Burda. Bis auf diese Bluse aus Zürich ist nichts gekauft. Mein liebes Fräulein, zu diesen Zeiten hat man im ehemaligen Jugoslawien besser gelebt als jetzt in Deutschland. Wir hatten alles! Als Studentin bin ich durch Europa gereist – und jetzt reise ich nirgendwo mehr hin. Ich habe Mailand gesehen, Wien, Zürich, Sankt Moritz ... Kaffee getrunken für 100 Schweizer Franken, 300 Franken für Lederjacken ausgegeben, 200 für Sandaletten. Wir waren die Welt. Dann haben sie uns alles weggenommen, und jetzt bieten sie uns wieder an die Welt zu sein.

Nähen Sie an einem bestimmten Ort oder zu einer bestimmten Zeit?
Ich bin ständig beschäftigt. Von 7 bis 15 Uhr bin ich an meinem offiziellen Arbeitsplatz. Nach 15 Uhr zieht es mein ganzes Wesen hierher. Das eine ist die nackte und harte Existenz, und hier kommt meine ganze Kreativität zum Ausdruck. Das bedeutet, von dem Eingang in dieses Gebäude bis hin zu den Möbeln, Blumen, dem Kontakt mit den Menschen, den Vorstellungen die wir geben und dem Nähen, mit dem ich mich beschäftige, ist meine Seele hier gegenwärtig. Sehen Sie wie der liebe Gott jedem seine Nische auftut im Leben, in der man sich vollkommen wiederfindet?! Das hier ist mein Leben. Hier kann ich mich vor guten und bösen Menschen verstecken, die einen wie, die anderen können anstrengend sein. Wenn ich erschöpft bin, schaue ich durchs Fenster auf die Save, die Brücke, den Sonnenuntergang und meditiere.

Gibt es ein selbst genähtes Kleidungsstück, das Sie uns heute zeigen möchten?
Das ist die Bluse, die mich seit meiner Studentenzeit bis heute begleitet. Ich habe sie nicht selbst genäht, doch sie ist mein liebstes Kleidungsstück. Die ist auch nach Burda genäht. Ich weiß das, so sind diese Schnitte.

Wann ist es entstanden? Haben Sie es für einen bestimmten Anlass, eine bestimmte Gelegenheit oder Person genäht?
Diese Bluse habe ich 1981 in einem Geschäft namens ABM gekauft. In der nähe vom Cafe Paris in der Bahnhofstrasse in Zürich. Fünf Jahre lang bin ich zweimal jährlich in die Schweiz gefahren. Da waren persönliche Beziehungen im Spiel. Ich sage Ihnen, damals war Jugoslawien ein Land voller Perspektiven. Wir haben mit vielen Ländern in Europa zusammen gearbeitet. Ich bin mit meinem ehemaligen Freund gereist, oder sagen wir besser meinem Liebsten. Er fühlte sich den Schweizern außerordentlich verbunden. ... Heute sagen sie Freund – ein Freund ist ein Freund – wer der Liebste ist, da weiß man doch was gemeint ist.

Wann haben Sie die Bluse zum ersten, wann zum letzen Mal getragen?
Das erste Mal in der Schweiz, die ich sehr liebe. Trotzdem könnte ich in keinem anderen Teil dieser Welt und in keiner anderen Stadt außer Belgrad leben. Diese Stadt ist wie für mich geschaffen. Sie ist ein wesentlicher Bestandteil meiner selbst. Diese Dynamik, manchmal auch Sentimentalität, manchmal Grobheit und diese Patina, die Belgrad hat. Eine Kultur, die kurz davor ist zu verschwinden. Doch ich hoffe aufrichtig, dass diese junge Generation alles ausprobieren wird, was die Jugend ausprobieren muss, um sich dann wieder den wahren Werten zuzuwenden. Das Leben besteht aus sehr einfachen, aber wahrhaftigen Werten ... Das letzte Mal habe ich sie vor ca. zwei Wochen auf einer kleinen Verbandsfeier getragen. Sie sollten mindestens ein Kleidungsstück besitzen, in dem Sie sich feierlich fühlen.

Gibt es Fotos oder andere Zeitdokumente in Verbindung mit dieser Bluse?
Ja, ich habe zwei Fotos aus dieser Zeit, aber nicht mit der Bluse. Es ist mir auch zu doof, ich war 25 Jahre alt. Das ist doch albern ... Was soll das jetzt?

Können Sie sich an ein Kompliment für die Bluse erinnern?
Alle sprechen mich darauf an und sagen, dass die bezaubernd aussieht und fragen: „Wo hast du das gekauft? Hast du das genäht?“ Weil sie wissen, dass ich das alles selbst ...

Woran erinnert Sie diese Bluse?
Sie erinnert mich ganz einfach an die schönsten Tage meiner Jugend. Stellen Sie sich vor: Sie setzen sich einfach ins Auto, fahren und dämmern bis Ljubljana ... Das waren sehr schöne Tage für dieses Land und auch für meine Jugend. Und daran werde ich mich immer erinnern.

Hat die Zeit irgendwelche Spuren auf Ihrer Bluse hinterlassen? Löcher, Flecken ...?
Ich habe an dieser Bluse nie krampfhaft festgehalten. Die ging mal verloren, mal tauchte sie wieder auf und hat nun 26 Jahre überlebt, mein Gott nochmal, da muss ich mich doch glatt bekreuzigen. Schauen Sie doch! Sogar die Farbe ist erhalten geblieben! Ich habe sie gerade gestern noch gebügelt und gesehen, dass diese Röschen etwas aufgeplatzt sind.

Was passiert mit der Bluse? Verschenken Sie sie, nähen Sie sie um ...?
Ich werde sie so, wie sie ist, behalten, auch wenn ich alt bin. Und mich stets gerne an sie erinnern.

Frau Vojnov, wir danken Ihnen für dieses Gespräch!
Belgrad, 3.5.2008 um 11 Uhr