Klärchen Döhle











Frau Döhle, wie sind Sie zum Nähen gekommen und seit wann nähen Sie?
Ich hatte das nie vor, Schneiderin zu werden, sondern Erzieherin. Mein Vater war jedoch dagegen. Der Krieg war gerade erst vorbei und er als Werksleiter meinte: „Kinder kriegste später selber und Handwerk hat goldenen Boden“. Da hat er Recht gehabt. Also fing ich im April 1940 meine Lehre in einem kleinen Maßschneideratelier in Bremen an. 1947 bekam ich eine Anämie und wurde immer dünner. Meine damalige Meisterin sagte: „Gehen Sie zur Kunstschule. Die Amerikaner geben dort jeden Tag Essen aus“. Da war ich dann zwei Monate und dann hat mein Mann mich weggeheiratet.

Nähen Sie aus Leidenschaft?
Ja, nachher als ich gesehen habe, was ich alles damit machen kann und dass ich damit weiterkomme. Das hatte so manche Vorzüge, dass ich nähen konnte.

Nähen Sie nach Schnittmustern oder eigenen Entwürfen?
Mein Vater bezahlte mir damals den Besuch einer Privatzuschneideschule. Dort lernte ich Schnittmuster für Russenblusen, Ärmelvarianten mit Raglan oder z.B. Matrosenkragen und Boleros anzufertigen. Das war schon schwierig. Wir waren froh, wenn wir was zu Schreiben hatten und Papier. Die Schnittmuster aus dieser Zeit sind mir bis heute erhalten geblieben. Wir sind ja ausgebombt. Zuerst haben die Bomben das ganze Haus, na ja bis unten hin ... zum Schluss kamen die Luftminen. Da wurden gleich vier, fünf Häuser zzzzzt flach gemacht. Mein Bruder hat dann noch einige meiner Papiere aus dem Keller rausgeholt. Später habe ich dann nach Maß und auch vieles nach Burdaschnittmustern genäht.

Suchen Sie sich die Stoffe, Materialien und Farben gezielt aus?
Damals gab es nichts. Es war ja Krieg, das kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Aus Verdunklungsplanen, mit denen wir während der Bombardierung die Fenster abdunkelten, nähte ich Regenmäntel. Aus Laken ein weißes Sportkleid. Da haben mich alle drum beneidet. Ich trennte geschenkte Kleider auf und bekam auch mal blaue Seide raus. Viel später dann, wenn ich mit meinem Mann zur Stadt ging, hieß es: „Du, ich geh’ in die Werkzeugabteilung“. Und ich ging zu den Stoffen. Was ich dann leiden mochte, habe ich mir dann geschnappt.

Nähen Sie für sich oder für andere?
Im Moment nähe ich kaum noch etwas. Nun, die Konzentration und die Muße haben nachgelassen. 1947, als die Hochzeit anstand, da gab es nichts. Also habe ich für eine Frau aus unserer Straße ein paar Sachen genäht und mir dafür ihr Hochzeitskleid leihen dürfen. Ich habe noch die Liste, was wir gekriegt hatten zur Hochzeit, zum Beispiel einen Zentner Kartoffeln und ein Frotteehandtuch.
1948/49 habe ich für einen Bauern gearbeitet. Die waren ja alle, froh wenn sie eine Schneiderin kriegten. Dafür bekam ich dann Speck, Milch und Würstchen. 1950 kam mein Sohn zur Welt, da hab ich auch für den Jungen genäht und für meine Mutter. Wie gesagt, zu kaufen ging es nicht. Als der Junge groß genug war, habe ich dann zehn Jahre als Schneiderin im Oberbekleidungshaus Bauermann gearbeitet. Das war das erste Haus am Platze hier.

Nähen Sie an einem bestimmten Ort oder zu einer bestimmten Zeit?
Früher habe ich mit meiner Schulfreundin Inge zusammen genäht. Es gab ja auch nichts. Wir konnten nicht ins Kino, als wir jung waren. Tanzen gab es nicht, Disko auch nicht. Also haben wir uns bei ihr oder bei mir zum Nähen getroffen und währenddessen im Haus gewartet, ob Alarm ist oder nicht. Das waren schreckliche Zeiten. Später habe ich neben den Haushaltsverpflichtungen und meiner Arbeit als Schneiderin die freien Stunden, wie sie fielen, zum Nähen genutzt. Ja und zuletzt war meine Freundin Inge bei mir zu Besuch und da haben wir mal wieder was zusammen genäht. Wir kennen uns jetzt schon sechzig Jahre.

Gibt es ein selbst genähtes Kleidungsstück, das Sie uns heute zeigen möchten?
Ja, dieses Bunte habe ich aus meinen Koffern rausgezogen, das ist ein geblümtes Leinenkleid. Da habe ich auch noch Fotos von, sonst hätte ich es gar nicht erst gezeigt. Und heute würde ich mir den Stoff auch nicht mehr kaufen.

Wann ist es entstanden? Haben Sie es für einen bestimmten Anlass, eine bestimmte Gelegenheit oder Person genäht?
Ich habe es so um 1984 für unseren Jugoslawienurlaub in Lopud genäht. Wir sind gerne, gerne hingefahren.

Wann haben Sie das Kleid zum ersten, wann zum letzen Mal getragen?
Ich habe das Kleid 1984 zum ersten Mal getragen, wann zuletzt weiß ich nicht mehr.

Gibt es Fotos oder andere Zeitdokumente in Verbindung mit Ihrem selbst genähten Kleid?
Da hab ich noch Fotos von, wie wir unten gesessen haben. Da waren Kieselsteine und da hatten wir Luftmatratzen gehabt und haben dann da gesessen. Wir waren da immer im Hotel, wunderschön war das! Da haben wir Kaffee und Kuchen für 2,50 Mark gegessen. Und meine Freundin Inge aus Bremerhaven, die war damals mit. Übrigens hat die gestern angerufen.

Können Sie sich an ein Kompliment für das Kleid erinnern?
Nein, aber das Kleid ist ja auch nichts Besonderes. Doch im Nachhinein haben viele zu mir und Inge gesagt: „Ihr habt immer alles gehabt, ihr seid richtig aufgefallen“. Wir haben ja immer zusammen genäht damals.

Woran erinnert Sie dieses Kleid?
Eigentlich an den Urlaub.

Hat die Zeit irgendwelche Spuren auf Ihrem Kleid hinterlassen? Löcher, Flecken ...?
Nee, ach das ist einfach uralt.

Was passiert mit dem Kleid? Verschenken Sie es, nähen Sie es um ...?
Ach was, nee, nee! Der ganze Koffer ist voll. Was soll ich damit? Das kommt mal weg.

Frau Döhle, wir danken Ihnen für dieses Gespräch!
Bremen, 8.3.2008 um 13.30 Uhr