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Dragana, wie bist Du zum Nähen gekommen und seit wann nähst Du? Ich nähe sehr selten. Mir fehlt diese gewisse Raffinesse in den Händen. Aber ich habe schon immer verschiedene Kleidungsstücke mit Accessoires wie Tüchern, Gürteln und Jacken kombiniert und sie so recycelt. Da kam immer eine völlig neue und ungewöhnliche Kombination bei heraus. Meine Mutter hat genäht! Sie war ganz anders als ich. Sie war nach dem zweiten Weltkrieg eine junge Frau, die eine völlig andere Mentalität entwickelt hatte, eine damenhafte, ernste und fleißbetonte. Es gab einen kompletten, moralischen Kodex, an den sie sich hielt. Ich war in den 70er-/80er-Jahren jung und das war die Zeit der Extreme. Ich liebte alles, was extrem war und sich in extremen Grenzen bewegte. Ich glaube, dass die Interaktion des Nähens der schönste Teil des Lebens zwischen meiner Mutter und mir war. Hat Deine Mutter aus Leidenschaft genäht? Die Szene, an die ich mich erinnere, ist folgende: Ich schaue mich im Spiegel an, bevor ich aus dem Haus gehe. Sie bleibt zurück und begleitet mich stolz und zufrieden zur Tür hinaus ... Für sie war es eine reine Wonne, dass ich in etwas von ihr Genähtem gut aussah. Natürlich hat meine Mutter mit ihrem Alter immer weniger genäht. Sie starb 1988 und seitdem kaufe ich meine Kleidung nur noch. Nähte sie nach Schnittmustern oder eigenen Entwürfen? Mama war nicht besonders geschickt bei der Schnittmusteranfertigung. Alles was exakt sein musste, bereitete ihr Schwierigkeiten, so dass ich das Zuschneiden übernahm. Das Bild meiner Kindheit ist folgendes: Mama hat die Materialien mitgebracht und hält die Maschine offen. Ich breite die Zeitungen auf den Boden aus und darauf den Burdaschnitt, lege ein dünnes Papier darüber und gehe dann mit dem Kopierrad über die Schnittmusterlinien. Da es so viele verschiedene Schnitte waren, die übereinander lagen, war es für Mama sehr schwer sich zwischen diesen unzähligen Linien zurecht zu finden, die ich wiederum leicht verfolgen konnte. Ich habe dann das erste Papierniveau geschnitten und Mama hat das Modell auf das Material übertragen, zugeschnitten und dann natürlich auch genäht. Habt Ihr Euch die Stoffe, Materialien und Farben gezielt ausgesucht? Ich glaube Mama hat das Material und die Farben ausgesucht, und ich musste mich damit nicht einverstanden erklären. Wir haben damals in Neu-Belgrad gelebt. Sie ist oft nach Zemun gegangen, um Stoffe in kleinen Läden oder im Kaufhaus ausfindig zu machen. Natürlich kannte sie die ganzen Frauen und Händler, die in den Stoffabteilungen arbeiteten. Sie besprach sich mit ihnen und wusste, wann welches Material mit welchem Muster eintreffen würde. Sie kam mit dem Material nach Hause und wir schauten es uns dann gemeinsam an, berieten uns und trafen Entscheidungen, so wie es auch Modeschöpfer tun. Hat Deine Mutter für sich oder für andere genäht? Sie hat wegen uns und der gesellschaftlichen Situation genäht. Du kannst nicht anders gekleidet sein, wenn du nicht nähst. Sie hat für sich, meine Schwester und mich genäht. Wir hatten hauptsächlich Konflikte in dieser Angelegenheit, zum Beispiel hat man damals Maxilängen getragen und ich wollte meine Kleider so lang wie möglich, da ich das Extreme mochte. Dann war ich auf Reisen, komme zurück und finde all meine Röcke kürzer vor als sie waren. Nur für Papa hat sie nichts genäht, da er sehr klassische Kleidung getragen hat. Seine Anzüge wurden von einem speziellen, professionellen Schneider genäht. Weiße Hemden wurden gekauft. Hat sie an einem bestimmten Ort oder zu einer bestimmten Zeit genäht? Das wechselte! Das war eine alte Singer-Maschine, die gibt es heute noch. Jetzt befindet sie sich als Teil des Mobiliars im Haus meiner Schwester. Mama hat mal im Schlafzimmer, mal im Esszimmer genäht. Sie zog immer mit der Maschine um und rückte auch gerne mal die Möbel hin und her. Ich erinnere mich, dass dieser Teil der Wohnung komplett belagert wurde. Alles war übersät mit Scheren, Fäden und Papierschnipseln vom Zuschneiden der Schnittmuster. Die Belagerung dauerte tagelang. Gibt es ein selbst genähtes Kleidungsstück, das Du uns heute zeigen möchtest? Ja, das hier ist ein sehr spezielles Stück. Ich habe dieses Kostüm sehr lange mit großer Freude getragen. Ich habe den Eindruck, als sei es wieder modern. Dieses gelbe Leinen ist eine sehr attraktive Farbe – drastisch. Von Zeit zu Zeit trage ich das Sakko immer noch. Die Schulterpolster habe ich jedoch rausgezogen, die trug man damals und die waren riesig. Wann ist es entstanden? Hat Deine Mutter es für einen bestimmten Anlass, eine bestimmte Gelegenheit oder Person genäht? Das wurde in der ersten Hälfte der Achtziger für mich genäht. Ich denke dieses Stück ist vollkommen verrückt. Wann hast Du das Kostüm zum ersten, wann zum letzen Mal getragen? Das erste Mal zu meinen Uni-Zeiten. Wahrscheinlich werde ich es jetzt zu meinem nächsten Projekt „Was haben sie in den Achtzigern getragen!?“ anziehen. Gibt es Fotos oder andere Zeitdokumente in Verbindung mit dem selbst genähten Kostüm? Da kann ich mich nicht erinnern. Ah, hier ist ein Bild! Ich mit meiner Freundin Nejdin in Hollywood, im Kleid, das meine Mutter genäht hat! Hier bin ich, 1984 in Kalifornien. Auch dieses Kleid hat meine Mutter genäht! Hier bin ich in Afrika, zu Besuch bei meiner Tante. Das Kleid hat meine Mutter genäht! Hier bin ich mit meiner Mutter 1984 in Rom. Mama reiste gerne und wir verreisten oft zusammen. Jugoslawien war ein offenes Land und viele Leute sind gereist. Ah! Schau’ dir das mal an! Das ist die Hochzeit meiner Schwester, im Brautkleid, das meine Mutter genäht hat. Für ihre zweite Hochzeit hat sie kein zweites mehr genäht. Kannst Du Dich an ein Kompliment für das Kostüm erinnern? Es war so attraktiv mit dieser gelben Farbe, dass ich die Straße nie unbemerkt überqueren konnte. Meine Freundin sagte einmal: „Du musst meine Ausstellung in diesem Kostüm eröffnen“. Woran erinnert Dich dieses Kostüm? Hauptsächlich erinnert mich das an bestimmte Ereignisse und wie ich zu diesen Ereignissen aussah. Wenn ich jedoch ans Nähen denke, das Zuschneiden und Ausdenken von Modellen, dann verbinde ich das absolut mit meiner Mutter. Das hat in meiner Kindheit mit meiner Mutter begonnen und hat mit dem Tod meiner Mutter aufgehört. Seitdem gibt es solche Erlebnisse nicht mehr in meinem Leben. Hat die Zeit irgendwelche Spuren auf Deinem Kostüm hinterlassen? Löcher, Flecken ...? Ich habe Sachen, die sind mindestens 30 Jahre alt, und ich hebe vor allem solche auf, die aus feinem Material genäht wurden. Was passiert mit dem Kostüm? Verschenkst Du es, nähst Du es um ...? Ich bin nicht gut darin, alte Sachen wegzuschmeißen. Ich hebe vieles auf und oft habe ich deswegen Streit mit meinem Mann. Wahrscheinlich ist das die Mentalität eines armen Landes. Ich nehme an, dass es hier immer schwer war Dinge zu besitzen. Es bedarf meiner hohen Konzentration, um etwas was alt ist, auch wegzuschmeißen. Jetzt gebe ich es euch zum Ausstellen ... das ist jetzt auch so wichtig geworden und gehört ins Museum. Dragana, wir danken Dir für dieses Gespräch! |
Belgrad, 5.5.2008 um 11 Uhr







