Gordana Rakić











Gordana, wie sind Sie zum Nähen gekommen und seit wann nähen Sie?
Meine Mutter konnte nähen. Als mein Bruder und ich noch klein waren, hat sie viel improvisiert und alte Sachen umgenäht. Ich hatte einige erfolglose Versuche. So kam es zum Beispiel vor, dass ich sagte: „Dieses Kleid brauche ich bis Samstag“, und sie erwiderte: „Nee, so läuft das nun nicht“. Dann habe ich ihr angeboten, dass ich den Schnitt anfertige. Da dort Linien von zwei Modellen aufeinander lagen und man sich leicht um eine Größe vertun konnte, habe ich oft Fehler gemacht, die sie dann später ausgebessert hat.

Hat Ihre Mutter aus Leidenschaft genäht?
Mama hat eher genäht weil sie musste. Sie hat es auch gerne getan, da es eine beruhigende Wirkung auf sie hatte. Sie hat wirklich goldene Hände gehabt. In der Zeit der Hippiebewegung hat sie auch bunte Pullover gestrickt – das waren einzigartige Stücke. Wir haben uns gerne nach westlichem und italienischem Einfluss gekleidet, Italien lag ja nahe. Das hat sich quer durch alle Generationen durchgezogen. Wenn sie eingeschlossen sind, ist jede Information von außen interessanter und progressiver.

Hat sie nach Schnittmustern oder eigenen Entwürfen genäht?
Als junge Frauen hatten wir alle den Wunsch, etwas Neues zu tragen. Das konnte man nur bei Burda finden. Neue Mode und Burda waren die Zeitschriften, die meine Freundinnen und ich immer parat hatten. So wussten wir, was es Neues gab und was man davon nutzen konnte. Es war wirklich eine sehr beliebte Zeitschrift. In dem Ort, in dem ich lebte, kamen immer nur ein paar Ausgaben an, die schnell vergriffen waren. Ich hatte Deutsch in der Schule und konnte mich mit Hilfe des Wörterbuches ganz gut in den Schnittmustern zurechtfinden. Das erfahrene Auge einer Schneiderin konnte schemenhaft erkennen was zu tun war. Bei uns hat, glaube ich, das Bazarmagazin von Zeit zu Zeit eine Einlage mit Schnittmustern rausgebracht. Aber irgendwie hat da immer etwas nicht gestimmt.

Suchen Sie sich die Stoffe, Materialien und Farben gezielt aus?
Es gab eine sehr gute Auswahl. Dieses Land hatte eine sehr starke Textilindustrie, die jetzt völlig ruiniert ist. Kluz, Vartex und Beko waren zu dieser Zeit sehr groß auf dem Markt, doch sie haben mehr für den Export produziert. Ich glaube, dass Beko auch für Hugo Boss gearbeitet hat. Die Modelle, die hier blieben, waren für uns junge Leute weder modern noch aktuell. Also waren wir gezwungen anders zurechtzukommen. Doch die Materialien, die hier hergestellt und verkauft wurden, waren günstig und von guter Qualität. Wenn Mama mir was daraus nähte, war es fast für umsonst.

Hat Ihre Mutter für sich oder für andere genäht?
Sie hat ausschließlich nur für die Familie genäht.

Hat sie an einem bestimmten Ort oder zu einer bestimmten Zeit genäht?
Hier wurde nicht genäht. Sie hat in unserem Haus in Bihać, in einem Teil der Küche genäht. Da stand auch die Nähmaschine. Nach dem Ritual des Mittagessens wurde der Tisch aufgeräumt, dann der Schnitt ausgesucht, zugeschnitten und ich habe das dann beaufsichtigt und vorangetrieben, damit es so schnell wie möglich fertig war. Ein eingeschaltetes Radio oder ein laufender Fernseher waren ein Muss, damit man etwas von der Seite säuseln hörte. Es gab sonst keine festen Regeln, sie nähte für jede Saison.

Gibt es ein selbst genähtes Kleidungsstück, das Sie uns heute zeigen möchten?
Ich habe mehrere und dieses Kostüm ist 1989 ..., ach nee, da habe ich meine Kleine geboren, da konnte ich es ja gar nicht tragen. Dann doch eher 1988 entstanden.

Wann ist es entstanden? Hat Ihre Mutter es für einen bestimmten Anlass, eine bestimmte Gelegenheit oder Person genäht?
Es gab keinen bestimmten Anlass. Der Freund meines Mannes hatte Seide aus Thailand zum Verkauf mitgebracht. Er hat mich und meine Freundinnen eingeladen, damit wir uns das mal anschauen. Als ich dieses bunte Allerlei in dem Zimmer sah, war ich so begeistert, dass ich mein ganzes Gehalt für die blaue Seide ausgegeben habe.

Wann haben Sie das Kostüm zum ersten, wann zum letzen Mal getragen?
Das erste Mal, als es fertig war. Ich habe es auch abends in Rovinj getragen und ich trage es heute noch.

Gibt es Fotos oder andere Zeitdokumente in Verbindung mit diesem Kostüm?
Das war 1991 auf dem zehnjährigen Klassentreffen in Bihać. In Kroatien war es schon losgegangen und in Bosnien erst das Jahr darauf. Das Motel Ada ist ein Restaurant am Fluss Una, zwei Kilometer von Bihać entfernt. Das sind alles meine Freunde und Freundinnen aus der Klasse vom Gymnasium. Ich mag sie alle sehr, habe aber leider keinen Kontakt zu ihnen. Die eine ist nach Kanada ausgereist, die hier ist glaube ich in Tschechien und die ist in Bihać geblieben. Das war ja alles gemischt. Sie müssen wissen, ich bin Serbin, diese beiden sind Musliminnen. Sie hat dann einen Serben geheiratet und Menschen in Mischehen mussten fliehen. Das war das letzte Mal, dass wir so zusammen gekommen sind.

Können Sie sich an ein Kompliment für dieses Kostüm erinnern?
Ja, ich habe wohl welche von diesen Komplimenten bekommen, natürlich von den Mädels: „Wow! Super! Was ist das denn?!“. Wie schön das Material doch ist und wie gut ich nach zehn Jahren immer noch aussehe.

Woran erinnert Sie dieses Kostüm?
Das ist mir in schöner Erinnerung geblieben: ich weiß, dass ich es damals getragen habe und mir alle gesagt habe wie gut ich aussehe und als wir dann in der Schule aufgetaucht sind, um unser zehnjähriges Abitur zu feiern, waren alle da, auch der Klassenlehrer. Das war das letzte schöne und aufrichtige Treffen. Als ich später hörte, was sich alles ereignet hat, konnte ich es nicht glauben. Ich persönlich habe keine direkte Feindseligkeit erlebt und das freut mich sehr. Meine Kindheit und meine Jugend sind mir in schöner Erinnerung geblieben.

Hat die Zeit irgendwelche Spuren auf Ihrem Kostüm hinterlassen? Löcher, Flecken ...?
Ich habe nichts bemerkt, außer, dass es sich etwas vom Laufen weitet, da es ja aus Seide ist. Im Vertrauen gesagt, ich habe den Rock etwas enger genäht und die Knöpfe ausgetauscht.

Was passiert mit dem Kostüm? Verschenken Sie es, nähen Sie es um ...?
Das ist ein Teil, von dem ich mich nur schwer trennen kann. Es ist mir wirklich lieb und teuer und ich fühle mich wohl darin.

Gordana, wir danken Ihnen für dieses Gespräch!
Belgrad, 6.5.2008 um 13 Uhr